
Bildung
Aktueller Stand: Vor dem UNO-Kinderrechtsausschuss
Letztes Update: 17. November 2025
Kanton: Aargau
Im Kanton Aargau setzt sich eine Familie für die inklusive Beschulung ihrer Tochter Emma C.* ein. Der Gemeinderat hatte für das Mädchen mit Cerebralparese auf Empfehlung des Schulpsychologischen Dienstes (SPD) eine separative Einschulung in die 1. Primarschulklasse angeordnet. Dagegen zieht die Familie mit Unterstützung von we claim vor Gericht.
Kinder mit Behinderungen profitieren in der Regel am meisten von der Schule, wenn sie eine Regelklasse besuchen. Rechtlich gilt deshalb der grundsätzliche Vorrang der integrativen Beschulung gegenüber der separativen Beschulung. Die integrative Beschulung wird in der Schweiz jedoch nur zögerlich umgesetzt. Laut dem Bildungsbericht Schweiz 2023 besuchen in der Schweiz Stand 2020/2021 immer noch über die Hälfte der Schüler:innen mit verstärkten sonderpädagogischen Massnahmen eine Sonderklasse oder Sonderschule.
Oftmals behaupten die Schulbehörden ohne genauere Prüfung, der Besuch einer Sonderschule sei besser für das Kindeswohl. Die Einteilung in eine Sonderschule ist meist unumkehrbar. Sie kann die Bildungslaufbahn des Kindes nachhaltig prägen und auch langfristig zu einem Leben in der Separation führen.
Der UNO-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen kritisierte anlässlich seiner ersten Überprüfung der Schweiz die hohe Sonderschulquote.
In der Schweiz werden Kinder – vermeintlich zu ihrem Wohl – oft vorschnell und ohne Gutachten von spezialisierten Fachpersonen in eine Sonderschule überwiesen. Dies, obwohl gemäss den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine inklusive Schule den Bedürfnissen sowohl von Kindern mit Behinderungen als auch von Kindern ohne Behinderungen am besten entspricht. Solche Entscheide prägen das Leben eines Kindes nachhaltig. Deshalb müssen die Hürden für eine Separation deutlich erhöht werden. Es braucht verbindliche Standards: Möchte eine Schulbehörde trotz Vorrangs der Integration eine separate Beschulung anordnen, ist sie verpflichtet, den Sachverhalt sorgfältig abzuklären (u.a. durch Gutachten von auf die jeweilige Diagnose spezialisierten Fachpersonen) und ihren Entscheid qualifiziert zu begründen. Sie muss darlegen und belegen, dass das Kindeswohl in der Regelschule tatsächlich nicht gewahrt werden könnte.
Die Einführung einer solchen Praxis wäre ein wichtiger Schritt in Richtung inklusive Bildungslandschaft. Längerfristiges Ziel ist ein Ressourcentransfer in ein inklusives Bildungssystem, das nicht auf dualen Strukturen beruht. Zur Verwirklichung dieses Ziels bedarf es vieler weiterer Anpassungen im Bildungssystem (z.B. Unterstützungsmassnahmen und inklusive Unterrichtsmethoden an den Regelschulen).
Emma besuchte den Kindergarten einer Regelschule im Kanton Aargau. Sie wurde von einer Fachperson aus der Sonderschule begleitet, da sie aufgrund einer Cerebralparese (CP) einen höheren Unterstützungsbedarf aufweist. In Hinblick auf die Einschulung in die 1. Primarschulklasse fand eine Abklärung durch den Schulpsychologischen Dienst (SPD) statt. Dieser empfahl eine separative Sonderschulung in einer Tagessonderschule. Die Gemeinde ordnete gestützt darauf eine Sonderschulung ab der 1. Primarschulklasse an und stellte sich damit gegen die Integration von Emma.
Die Eltern von Emma legten Beschwerde beim Schulrat ein. Der Schulrat hiess die Beschwerde gut. Die Gemeinde hingegen zog den Entscheid weiter und obsiegte vor dem Regierungsrat. Mit Unterstützung von we claim zog die Familie dagegen vor Gericht. Sowohl das kantonale Verwaltungsgericht wie auch das Bundesgericht wiesen die Beschwerde ab.
Während des gesamten innerstaatlichen Verfahrens galt die sogenannte aufschiebende Wirkung. Das heisst, dass Emma für die Dauer der Verfahren bis zum definitiven Entscheid weiterhin integrativ beschult wird. Sie besucht daher bis heute weiterhin die Regelschule. Die für die Integration erforderlichen Massnahmen wurden eruiert und umgesetzt. Nach anfänglichen Herausforderungen funktionierten das aufgebaute integrative Setting und die Zusammenarbeit zwischen Lehr- und Betreuungspersonen gut. Emma wird im Schulalltag insbesondere von einer Klassenassistenz begleitet und hat angepasste Lernziele. Die Befürchtungen des Gemeinderates (z.B. massive organisatorische und ressourcenmässige Aufwendungen, Überforderung und Kündigungen von Lehrpersonen) sind nicht eingetroffen.
Trotz dieser Umstände, die eine gelungene Integration unter Beweis stellen, wehrte sich der Gemeinderat während des gesamten Verfahrens gegen die Integration von Emma. Dies verdeutlicht, wie Schulbehörden oft von der falschen Annahme ausgehen, dass Kinder mit Behinderungen in der Sonderschule besser aufgehoben seien.
Nach dem Entscheid des Bundesgerichts reichte die Familie im Oktober 2025 Beschwerde beim UNO-Kinderrechtsausschuss ein. Mit dem Bundesgerichtsurteil wäre die Platzierung in der Sonderschule eigentlich wirksam geworden. Der UNO-Kinderrechtsausschuss ordnete jedoch nach Einreichung der Beschwerde umgehend den Aufschub der Separation an, bis er die Beschwerde inhaltlich geprüft hat. Mit diesem Entscheid macht der Ausschuss deutlich, dass die Schweizer Praxis der schulischen Separation von Kindern mit Behinderungen vertieft untersucht werden muss.
*Name geändert
Weiterzug an UNO-Kinderrechtsausschuss
Abweisung der Beschwerde durch das Bundesgericht
Beschwerde ans Bundesgericht
Abweisung Beschwerde durch Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
Gutheissung Beschwerde Gemeinderat durch Regierungsrat Kanton Aargau
Beschwerde Gemeinderat an Regierungsrat Kanton Aargau
Gutheissung Beschwerde durch Schulrat des Bezirks
Beschwerde an Schulrat des Bezirks
Verfügung Gemeinderat betreffend separative Sonderschulung
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